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Was ist ein Pianolist?


Der englische Pianolist und Komponist Easthope Martin (1892-1925) spielt 1912 Griegs Klavierkonzert a-Moll mit dem London Symphony Orchestra.

Dirigent ist Artur Nikisch (1855-1922).



Ein Pianolist hat die Aufgabe, aus einer von Musikeditoren am Zeichentisch gezeichneten Notenrolle, die naturgemäß jeder künstlerischen Note entbehrt, eine lebendige, dem Spiel eines Pianisten nahekommende oder sogar entsprechende Aufführung zu gestalten. In den späten 1930er-Jahren hat die elektro-akustische Wiedergabe von Musik die Traditionen der mechanischen Musikinstrumente völlig abgelöst, und damit auch die Tätigkeit und den Beruf des Pianolisten. Zum Verständnis der Tätigkeit eines Pianolisten muß man sich mit der Entwicklung der Reproduktion von Musik, in diesem Fall speziell der von Klaviermusik, auseinandersetzen, was hier versucht wird. Mit der Entwicklung des selbstspielenden Welte-Mignon-Pianos 1905 haben M. Welte & Söhne vor 100 Jahren einen neuartigen Klavierspielapparat geschaffen, den wir heute als Reproduktionsklavier bezeichnen. Das Spiel eines Pianisten wurde aufgenommen und einschließlich der Anschlagstärke - der Dynamik - durch Lochstanzungen auf ein Papierband, die sogenannte Notenrolle oder Klavierrolle, übertragen. Beim erst ab 1905 von M. Welte & Söhne, später auch von anderen Herstellern produzierten Reproduktionsklavier werden Musikstücke von mehr oder weniger berühmten Pianisten auf speziellen Aufnahmeapparaten live aufgenommen. Diese Musikstücke werden einschließlich der Anschlagstärke - der Dynamik - weitestgehend originalgetreu wiedergegeben. Die Stanzungen wurden pneumatisch abgetastet und in mechanische Bewegungen der Klavierhämmer umgesetzt. Jedem Klavierton ist in der Notenrolle eine Lochspur zugeordnet, weitere Spuren enthalten Informationen für die automatische Betätigung der Pedale und der Anschlagstärke. Das Prinzip des Reproduktionsklaviers wurde auch von Firmen übernommen, die mit Welte in Konkurrenz standen. Teilweise bezahlten sie Lizenzgebühren an Welte, teilweise benutzten sie selbstentwickelte Patente und Techniken. Bereits vor der Erfindung des Welte-Mignon gab es Klavierspielapparate, die mittels einer Notenrolle Musikstücke spielen konnten. Sie sind bis heute durch die seinerzeit geschützten Markennamen „Pianola“ oder „Phonola“ bekannt. Diese Apparate wurden in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelt. Die Musik auf den Notenrollen war zunächst nicht von Pianisten aufgenommen worden, sondern wurde von der Partitur direkt rein metrisch auf die Papierrolle übertragen, man sagt auch „gezeichnet“. Diese Arbeit wurde von Musikeditoren oder Musikzeichnern erledigt, welche die Noten nach Tonhöhe und Tondauer in Strichform auf eine sogenannte Mutterrolle, den Master, übertrugen. Danach konnte diese Rolle gestanzt werden. Sie diente dann als Kopiermuster bei der Herstellung der Notenrollen. Diese Noten- oder Klavierrollen sind auswechselbar und waren im Musikalienhandel zu kaufen.

Rolleneditoren bei der Arbeit im Londoner Werk der „Aeolian Company“ 1911

Zu dieser Zeit war der Begriff „Pianola“ ein eingetragenes Warenzeichen der „Aeolian Company“ in New York, das die mit Rollen spielenden Vorsetzer und Klaviere, die Aeolian herstellte, bezeichnete. Ein Vorsetzer ist ein Instrument, das vor ein beliebiges Tasteninstrument gestellt werden kann und auf diesem die auf den Rollen gespeicherten Musikstücke spielt. Diese Instrumente hatten 88 filz- oder lederbezogene Holzfinger, die genau über die Klaviatur eingestellt werden konnten. Die obige Zeichnung zeigt Easthope Martin auf der Bühne der Queen's Hall in London, wie er einen „88er Pianola-Vorsetzer“ spielt, der vor einem Weber-Konzertflügel steht.

Wie ein von einem guten Pianolisten gespieltes Stück klingen kann, zeigt die folgende Aufnahme von Debussys „Clair de la Lune“, gespielt von Rex Lawson, im oder Real Audio-Format.

Die Regler eines „Pianola“-Klavieres der Aeolian Company

Es gab verschiedene Hersteller von automatischen Klavieren, jeder hatte seine eigene Regelung der Wiedergabe. die leicht von anderen Fabrikaten abwich. So wie bis in die 1960er Jahre bei den Autos der Schalter für den Blinker mal rechts mal links vom Lenkrad war oder französische Autos grundsätzlich anders geschaltet werden mußten als deutsche, so gibt es auch Unterschiede in der Handhabung der Pianolas. Das am meisten verbreitete System waren die der Aeolian Company, eben die „Pianolas“ und „Pianola Pianos“ sowie die „Phonolas“ der Ludwig Hupfeld AG aus Leipzig.

Der Regler A ist eine ausschaltbare automatische Regelung für das Sostenuto-Pedal, um dem ungeübten Pianola-Spielern dies abzunehmen.

Der Regler B ist ebenfalls abschaltbar, mit seiner Hilfe kann die Melodie stärker hervorgehoben werden. Bei Aeolian hieß er „Themodist“, bei Ludwig Hupfeld „Solodant“, bei Wilcox & White „Melodant“, andere Firmen hatten ähnlich klangvolle Namen dafür. Im Wesentlichen erlaubt der Themodist oder Solodant Akzente mit größerer Präzision zu setzen und führt die Lautstärke bei komplexen Passagen schneller auf die Basis zurück. Er wird durch spezielle Lochungen (in der Rolle ausgelöst, synchron zu einer im Bass oder Diskant angeschlagenen Note.

Indem man den Temporegler, einer meist rot auf der Rolle aufgezeichneten Linie C folgend, hin- und herschob, konnte ein vorgegebenes Rubato, also eine Tonverzögerung innerhalb des Zeitmaßes erreicht werden.

Ein nicht bei allen Instrumenten vorhandener Schalter ist ein Regler, der die Dynamik steuern half. Bei Aeolian hieß er „Themodist“, bei der Ludwig Hupfeld AG „Solodant“, bei Wilcox & White „Melodant“, andere Firmen hatten ähnlich klangvolle Namen dafür. Im Wesentlichen erlaubt der Themodist oder Solodant, Akzente mit größerer Präzision zu setzen, und führt die Lautstärke bei komplexen Passagen schneller auf die Basis zurück. Er wird durch spezielle Lochungen in der Rolle ausgelöst, synchron zu einer Note im Bass oder Diskant.

Dies war bestimmt nicht die ideale Wiedergabe, hat aber größere Bedeutung bei Rollen, bei denen diese Linie unter der Überwachung bzw. nach den Vorgaben des Komponisten gezeichnet wurde. Edward Elgar beispielsweise „metrostylte“ Rollen seiner 1. Symphonie, die frühesten Aufnahmen eines seiner größeren Werke. Welte versah ab erst ab ca. 1920 Rollen mit Linien zur Handbetonung.

Die Regler D und E sind für die beiden Pedale, da die Tretpedale über den normalen Pedalen angebracht sind und ihre Funktion daher mit der Hand ausgeführt werden muss.

Die Regler F und G regulieren die Dynamik zwischen Diskant und Bass. Die Pneumatik des Kunstspielklaviers ist meistens in zwei Hälften, also in zwei Windladen geteilt, normalerweise zwischen den Noten e' und f'. Diese beiden Regler können nun das Vakuum und damit die Lautstärke in Bass und Diskant getrennt weiter beeinflussen.

Der wichtigste Regler ist der für das Tempo, H in der Abbildung. Die Grundeinstellung des Reglers bestimmt zwar das Grundtempo für ein Musikstück, aber vor der Erfindung des Computers war kein Musikstück jemals geschrieben worden, das ganz ohne Temposchwankungen, ohne Rubato, gespielt werden sollte. Mit diesem Regler lassen sich Accelerandi oder Ritardandi erzielen.


Der Schalter I ist für den Rollentransport zuständig, für PLAY wie Spiel und REROLL für den Rücklauf, aber auch für schnellen Vorlauf ohne Musikwiedergabe, ähnlich wie beim Casettenrekorder. Die Photos oben zeigen die Regler beim Gunther-Welte-Piano des Augustinermuseums, das neben den Reproduktionsrollen auch solche für das Kunstspielklavier abspielen kann. Eine besondere technische Raffinesse, kann es doch in vier verschiedenen Arten betrieben werden:

1. Wiedergabe der Welte-Mignon Reproduktionsrollen, vollautomatisch

2. Wiedergabe der Welte-Rollen mit manueller Betätigung der Dynamik

3. Wiedergabe von Notenrollen für Kunstspielklaviere mit automatischer Betonung von Melodienoten und Handbedienung der Dynamik und der Tempi

4. Wiedergabe von Notenrollen für Kunstspielklaviere mit Handbedienung der Dynamik und Tempi

Bei allen vier Arten kann wahlweise der Rollenantrieb automatisch oder mit Fußpedalen (sog. Tretschemel) erfolgen. Bei den Spielarten 3. und 4. kann wahlweise das rechte Pedal von Hand oder automatisch von der Rolle bedient werden, sofern die Pedalspur auf der Rolle vorhanden ist. Bei den Spielarten 1. und 2. ist die Teilung der Windladen in Baß und Diskant zwischen fis' und g', bei den Spielarten 3. und 4. wird sie automatisch umgeschaltet auf die Teilung zwischen e' und f'.

Das Photo links zeigt die Tretpedale, darunter sichtbar die normalen Klavierpedale

Diese Beschreibung ist deutlich vereinfacht. Das Pianola oder Kunstspielklavier ist ein einfaches Instrument für den Anfänger, wird aber zunehmend schwieriger zu spielen wenn man gute musikalische Aufführungen anstrebt.

Informationen in Englisch bei "The Pianola Institute London"








Literatur:

William Braid White: The player-piano up-to-date: a comprehensive treatise … New York 1914.

Percy Alfred Scholes: The listener's History of music. A book for any concert-goer, pianolist or gramophonist providing also a course of study for adult classes in the appreciation of music. London 1929.

William Braid White: Piano playing mechanisms: a treatise on the design and construction of the pneumatic action of the reproducing piano. 2. ed. Boston, Mass. 1953.

Copyright by Rex Lawson, Pianola Institute London und Gerhard Dangel, Augustinermuseum Freiburg.

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